Verdacht, Schutz und Familie

Im Verdachtsfall oder wenn sich Ihnen anvertraut wurde

Bei Verdachtsmomenten bzgl. des sexuellen Kindesmissbrauchs ist folgendes zu beachten:

  • Ruhe bewahren!
  • Keine überstürzten Reaktionen!

Nachdem ein Missbrauch aufgedeckt wurde, besteht das verständliche Verlangen, diesem sofort ein Ende zu setzen. Allerdings hat ein unzureichend vorbereiteter Eingriff zur Folge, dass der Täter den Druck und die Gewalt auf das Opfer erhöht, andere Opfer vielleicht nicht gefunden werden können und die betroffene Person selbst über die Erlebnisse schweigt.

Eingriffe oder Hilfen müssen gut überlegt und in Absprache mit anderen Fachkräften durchgeführt werden.

Niemand ist zur Anzeige verpflichtet.

Folgende Punkte können hilfreich sein:

  • Kollegin/Kollege oder andere Vertrauensperson suchen
  • Helfer/Innenkonferenz anstreben
  • Beratungsstelle einschalten
  • Kontakt zum Kind vorsichtig intensivieren
  • in der Schulklasse das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und sexuellen Kindesmissbrauch vorsichtig ansprechen
  • Hinweise auf den sexuellen Missbrauch notieren

Wenn bei einem Kind der Verdacht auf sexuellen Missbrauch besteht, sollten dazu unbedingt Notizen mit Datumsangabe und einer Beschreibung der Auffälligkeiten gemacht werden. Folgendes Muster könnte übernommen werden:

Auffälligkeiten des Kindes:

  • Schlaf- und Essstörungen, Ängste, Traurigkeit, sozialer Rückzug, usw. Alle Auffälligkeiten können auch andere Ursachen haben, z.B. Scheidung, Krisen
  • spezifische Auffälligkeiten
    • Angst vor bestimmten Personen
    • auffälliges sexualisiertes Verhalten
    • körperliche Schmerzen
    • Verletzungen, Missbrauch wird im Spiel/in Bildern thematisiert
    • Soziale Isolation, Kontaktprobleme
    • Familiengeheimnisse
  • besondere Abhängigkeit untereinander
    • Trennung der Eltern/Verhalten nach Besuchen - enge Bezugspersonen
    • Veränderungen nach Ferien, Freizeiten
    • auffällige Andeutungen

Ein Missbrauchsfall sollte niemals überstürzt offengelegt werden. Auch ist davon abzuraten den verdächtigten Täter zu konfrontieren. Stellt man den verdächtigten Täter zur Rede, könnte der Zugang zum Kind durch den Täter versperrt werden. Darüber hinaus könnte sich der verdächtigte Täter dadurch "Schlupflöcher"/Ausreden suchen, um sich aus dem Verdacht herauszuwinden.

Schutz vor Missbrauch ?

Kinder können durch Erziehung und Aufklärung einen guten Schutz vor sexuellem Missbrauch erhalten:

Kinder sollten altersgerecht aufgeklärt werden, die korrekten Bezeichnungen für Körperteile lernen und wissen, wer sie wann, wo und wie anfassen darf.

Die Grenzen der Kinder sollten geachtet werden. Wenn Kinder der Tante kein Küsschen geben oder ohne Zuschauer baden wollen, dann sollte das respektiert werden. 
"Nein" sagen und Grenzen setzen können sind Fähigkeiten, die einen starken Schutz vor Missbrauch bieten.

Eine gute Familienatmosphäre trägt ebenfalls zum Schutz bei:

Familien, die das Zuhören und miteinander Reden gelernt haben, bieten Kindern eine Möglichkeit, über Ängste und bedrückende Erfahrungen, auch über Missbrauch, reden zu können. 
Kinder, die an den Eltern alltägliche Zärtlichkeiten beobachten können (Küssen, Umarmen), und körperliche/emotionale Zuwendung durch die Eltern erfahren, können die Lügen der Täter ("Alle machen das", "Ich habe dich doch so lieb", usw.) leichter erkennen, und sind auf deren Zuneigung auch gar nicht angewiesen. Die meisten Täter erscheinen, wie ganz normale Menschen, denen man von Außen nichts ansieht. Sie sind jedoch meistens sozial unterentwickelte, unreife Menschen.

Die Familien

Weit über die Hälfte der Missbrauchsfälle kommt in den Familien vor. 90% finden vor dem 12. Lebensjahr statt und beginnen vermutlich meistens, wenn das Kind zwischen 6 und 8 Jahre alt ist und dauert 3-5 Jahre. Genaue Angaben sind zum Einen schwierig, weil das strukturierte Erinnerungsvermögen erst ab etwa dem 6. Lebensjahr einsetzt und zum anderen die Übergriffe meistens schleichend einsetzen und ein alltägliches Erleben des Kindes darstellen.

Für Missbrauch in Familien (Inzest) gibt es keine typische Familie, er kommt in allen sozialen Schichten und Berufsgruppen vor. Doch manche Familien weisen von vornherein Verhaltensweisen und Umstände auf, die eine ungünstige Entwicklung für Kinder zur Folge haben können.

Familien, die gefährdet sind:

  • weisen eine große "Privatsphäre" auf, in die sie niemanden hineinsehen lassen.
  • neigen zur sozialen Isolation und genügen sich selbst.
  • verwenden viel Kraft darauf, nach Außen hin als normal und intakt zu erscheinen.
  • zeichnen sich durch starke Loyalität und Abhängigkeit untereinander und sehr starken Rollenzuweisungen und festen internen Regeln aus.
  • haben eine Rollen- und Aufgabenverdrehung: Erwachsene nehmen kindliche Rollen und Verhaltensweisen ein, wohingegen die Kinder zu Pseudo-Erwachsenen werden.

Diese Familien brauchen fachliche Hilfe, um zu einer gesunden Familienatmosphäre zu kommen.

Mütter nehmen im Inzestgeschehen eine besondere Rolle ein. Manche Forscher meinen, dass Mütter bewusst oder unbewusst über den Missbrauch bescheid wissen und das Kind durch ihre Haltung in die Rolle der Ehefrau hineindrängen, um sich selbst aus der Partnerbeziehung und den Verpflichtungen zu lösen. Andere meinen, dass es für Mütter ein Schock ist, vom Missbrauch zu erfahren und die wenigsten es geahnt oder vermutet hätten. In vielen Fällen ist die Mutter nicht in der Lage, ihr Kind vor einem Missbrauch zu schützen oder eine Beziehung zum Kind aufzubauen, in der das Kind mit allem, was es beschäftigt oder bedrückt, zu ihr kommen und Hilfe finden kann. In dem Fall werden auch Mütter an ihren Kindern schuldig.

Wenn der Missbrauch zur Sprache kommt, stellen Mütter sich oft auf die Seite des Täters. Meistens weil sie wirtschaftlich und persönlich von ihm abhängig sind. Häufig wechseln daraufhin auch die Rollen, so dass die Mutter bei dem Kind Trost sucht und das Kind der starke, haltgebende Partner in der Beziehung wird.


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