Retraumatisierungen

"… Mir wurde klar, dass ich nun Hilfe zulassen musste, aber es war mir absolut nicht möglich diese anzunehmen. Manchmal kamen zu mir Leute die ich vorher nicht gesehen habe und die sollten mich waschen oder mir gar beim anziehen helfen? Ich fühlte mich ausgeliefert … warum macht die Leitung sowas, die Leute einfach zu mir rein zu schicken … Ich will das nicht, nicht mehr … was will ich nicht mehr? Ich kann das nicht, lasst mich doch alle endlich in Ruhe … was macht ihr mit mir, es macht mir Angst … geht, geht doch endlich weg …"
(eine Vereinsangehörige mit zunehmenden Hilfs und Pflegebedarf)

Eine Retraumatisierung kann Jahre oder auch noch Jahrzehnte nach den Übergriffen durch eine ähnlich gelagerte Situation entstehen und konfrontiert den Menschen mit blitzartigen Erinnerungen (Flashbacks) an den sexuellen Missbrauch. In den meisten Fällen können die Betroffenen nicht benennen, was, wer oder warum eine Situation in ihnen diese Rückerinnerung ausgelöst hat. Noch weniger haben die Betroffenen Einfluss auf die nun eintretenden psychischen oder psychosomatischen Reaktionen. Diese können auch bereits als bestehende Symptomen im Krankheitsverlauf des Betroffenen aufgelistet sein und wären somit wegweisend für den Verdacht auf das Vorliegen eines Psychotraumas. Aber eine Retraumatisierung kann auch ohne jede psychische oder psychosomatische Auffälligkeit in der Vergangenheit möglich sein.

Wodurch kann eine Retraumatisierung bei Menschen mit vorrübergehendem, drohendem oder dauerhafter Behinderung ausgelöst werden?

  • Retraumatisierung bei Eintritt einer Pflegesituation, d.h. zulassen von Körperkontakt, Intimpflege, An- und insbesondere Ausziehen durch Pflegekräfte.
  • Retraumatisierung aufgrund einer Rollstuhlpflichtigkeit, d.h. Umwelt und Mitmenschen werden aus der Augenhöhe eines Kindes wahrgenommen, was ein Gefühl der Hilflosigkeit bei traumatisierten Menschen erzeugen  kann.
  • Retraumatisierung durch "verkindlichte" Ansprache und auch Behandlung durch das Umfeld, d.h. nicht nur Pflegekräfte neigen leider immer noch dazu Menschen mit Behinderung wie ein Kind zu behandeln. 
  • Retraumatisierung duch zu saloppen, distanzlosen Umgang der jüngeren Assistenz und Pflegekraftgeneration, d.h. zu forsches, vermeintlich respektloses Auftreten, Ansprache in der Du Form, zu vertrauliche Art im Umgang oder die Neigung zu unaufgefordertem Körperkontakt, wie in den Arm nehmen, sich anlehnen oder streicheln etc. 
  • Retraumatisierung durch nicht ernstgenommen werden, d.h. Menschen mit Behinderung, insbesondere auch aus dem geistigen und psychischen Bereich, erfahren eine Bagatellisierung, wenn sie einen Übergriff beschreiben. Etwas, was sie von früheren Tätern eventuell kennen.

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