In Institutionen

Zudem findet Missbrauch mitunter auch in Einrichtungen statt, in denen betroffenen Menschen eigentlich geholfen werden sollte. In der Umfrage von Aiha Zemp (1997) waren Einrichtungen mit 38,8% das soziale Umfeld, in welchem sexuelle Gewalt am häufigsten vorkam.

Laut einer Studie der Universität Bielefeld von 2012 waren 52% der befragten gehörlosen Frauen von sexuellen Übergriffen betroffen. Diese Frauen gaben zu 64% Personen aus Schule, Ausbildung und Einrichtungen als Täter an. Bei anderen Befragungsgruppen waren Einrichtungen vergleichsweise selten genannt. Hier spielten Täter aus dem familiären Umfeld die größte Rolle.

Menschen mit Behinderung, welche sexuelle Übergriffe erleben mussten, haben es also häufig doppelt schwer. Sie sind oft auf Hilfe angewiesen, obwohl es schwer fällt, aufgrund früherer Erfahrungen diese anzunehmen. Des Weiteren sind sie auch in Einrichtungen, welche eigentlich Unterstützung und Schutz bieten sollen, nicht 100% geschützt, was zudem verunsichert. Verhalten, was auf Missbrauch hindeutet, wird oft nicht erkannt und der Behinderung zugeschrieben. Dem deutlichen Ansprechen von Missbrauch wird noch weniger Glauben geschenkt. Helfende Bezugspersonen befinden sich oft in einem doppelten Rollenkonflikt und müssen fürchten, von Kollegen als "Nestbeschmutzer" betitelt zu werden.

Leben und arbeiten in Wohnheimen oder Werkstätten

In Wohnheimen und Werkstätten sollen Kinder und Erwachsene mit Behinderung eigentlich ein schützendes Umfeld erfahren. Doch leider ist dies nicht immer der Fall. Gerade hier gibt es einige Risikofaktoren, welche die Wahrscheinlichkeit für einen sexuellen Übergriff erhöhen können:

  • Von den Betreuern wird häufig ein sehr vertrauter Umgang mit den Bewohnern, besonders bei Kindern gefordert.
  • Gleichzeitig gibt es kaum ausdrückliche Grenzen für Körperkontakt, dieser geschieht meist unreflektiert.
  • Gerade gegenüber Kindern besteht ein großes Machtgefälle. Sie sind abhängig von der Hilfe oder auch Zuneigung des Anderen.
  • Viele TäterInnen nutzen dies aus und suchen sich Arbeitsfelder, die ihnen einen einfachen Zugang zu emotional bedürftigen Menschen erlauben.
  • Oft haben die zu betreuenden Menschen in solchen sozialen Einrichtungen kein oder kaum ein Mitbestimmungsrecht.
  • Beschwerdemöglichkeiten fehlen.
  • Ein Führungszeugnis für Arbeitnehmer wird vor Arbeitsantritt nicht eingeholt.
  • Präventionsmaßnahmen werden nur sehr selten durchgeführt.
  • Die zu betreuenden Menschen bekommen oft keine Schlüssel für ihre Zimmer ausgehändigt.

Doch auch die normale Pflege kann für einen Betroffenen schnell zur Herausforderung werden:

  • Die Bezugspersonen wechseln schnell. Immer wieder soll Vertrauen aufgebaut werden, was für einen Betroffenen eine sehr große Herausforderung ist.
  • Es gibt keine beständige Bezugsperson.
  • Die Pflegekraft kann nicht selbst ausgewählt werden.
  • Es gibt kaum Ansprechpartner, die Pflegekräfte haben keine Erfahrungen im Umgang mit traumatisierten Menschen.
  • Ganz normale Pflegesituationen können zu Retraumatisierung (Link Retraumatisierung bei Pflege) führen. Ängstliche/aggressive Reaktionen werden vom Pflegepersonal daraufhin oft falsch verstanden.

Auch den Mitarbeitern fällt es schwer…

Sexualität in Bezug auf Menschen mit Behinderung ist immer noch ein Tabuthema. Kein Wunder, dass sich auch viele Mitarbeiter mit dem Thema Sexualität/ sexuelle Übergriffe überfordert fühlen. In einer Umfrage gaben Mitarbeiter von Behindertenwohnheimen an, dass sie sich dem Thema gegenüber sehr hilflos fühlen. Sie wissen nicht, wie sie handeln sollen, wenn sie mit dem Thema konfrontiert werden und haben das Gefühl, dass damit ihre Kompetenzen überschritten werden. Ein festgelegter Umgang mit Verdachtsfällen fehlt und somit wissen weder Betroffene noch Mitarbeiter, an wen sie sich wenden können um Hilfe zu bekommen.


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